Dienstag, 23. Januar 2018

Don't let facts ruin my reputation -


Three Monkeys
Oder: Ich lass mir mein Gerede doch nicht durch Fakten kaputt machen.

Zu Mithu Sanyals Satzreihen in der heutigen taz online.

Dr. Ingeborg Kraus ist eine international anerkannte deutsche Traumatherapeutin, die sich auf Grund ihrer Arbeit gegen die sexuelle Benutzung von Frauen, jungen Männern und Trans* gegen Geld einsetzt. Da Prostitution männliches Herrschaftsdenken bedient (der Mann will etwas, also hat die Gesellschaft es für ihn einzurichten), wird in der Tat von Männern als Käufern gesprochen. Die Machtstruktur, die Prostitution erst ermöglicht und die von ihr gestützt wird, ändert sich nicht dadurch, dass verzweifelt immer wieder von Kund*_innen geschrieben wird, es ist ein eigentümliches Phänomen der deutschen Gesellschaft, dass nirgends so schnell geschlechtergerecht formuliert wird, wie dann, wenn es um sexuelle Gewalt geht. Noch den eingefleischtesten Vertrendenden des generischen Maskulinums gelingt es plötzlich, weibliche Formen in ihren Wortschatz aufnehmen. Aber dies nur am Rande.

Durch ihre Arbeit, ihre Veröffentlichungen, ihre ÄrztInnenfortbildungen und durch ihre Beiträge bei Tagungen, Kongressen, in Dokumentationen und in öffentlichen Diskussionen erreicht Dr. Kraus inzwischen viele Menschen und hat wesentlich zu einer gesellschaftlichen Sensibilisierung zum Thema Prostitution beigetragen. Die glatte Vermarktung des Gewerbes wird dadurch empfindlich gestört, es wird hingeschaut und unter dem Blick einer wacheren und aufmerksamen Öffentlichkeit offenbart sich die tiefe Kluft zwischen bunter Fassade und der Gewalt hinter dieser Fassade. Dies stört die Geschäfte der Profitierenden, hat aber noch eine weitere Folge: Es droht ein ungeheurer Gesichtsverlust für alle die, die sich immer noch vehement für Prostitution einsetzen und damit eine staatlich garantierte Infrastruktur zur sexuellen Benutzung von vorwiegend Frauen durch fast ausschließlich Männer befürworten. Die Rhetorik der 80er Jahre greift nicht mehr, das von Anfang an nicht durchdachte Experiment von 2002 ist unwiderlegbar gescheitert, und inzwischen wird’s peinlich. Wie die eigene Wissenschaftlichkeit retten, wie den eigenen „Feminismus“, wenn klar wird, dass hier auf der falschen Seite gejubelt wurde und wird?

Also werden die Frauen der Gegenseite angegriffen. Ein Traumapsychologe und Oberstarzt der Bundeswehr wird zitiert, der offenbar gekränkt ist, nicht im Fernsehen auftreten zu dürfen. Welche Kenntnisse er zur Prostitution hat oder welche Arbeit er mit Frauen in der Prostitution geleistet hat, welche Texte oder Arbeiten er dazu rezipiert hat, bleibt offen. Ebenso zitiert wird die offenkundige Empörung aus dem Verein „Angriff-auf-die-Seele e. V. – Psychosoziale Hilfe für Angehörige der Bundeswehr“, deren Mitglieder es offenbar nicht verkraften, in egal welchem Zusammenhang mit Prostituierten verglichen zu werden. Dem könnte eine Feministin allerdings wirklich nachgehen, aber das setzt Sensibilisierung für das Thema, für den Status von Prostituierten, für deren Stigmatisierung voraus. Eine Stigmatisierung, die Aufrecht erhalten werden muss, damit das Gewerbe bestehen kann. Also schaut Sanyal hier lieber weg.

Sanyal beendet ihre Satzsammlung mit folgenden Worten: „Gleichzeitig ist aber auch saubere Recherche die Grundlage von Presse und das Überprüfen von Zitaten die Grundlage von Wissenschaft.“

Das hat sie fein gesagt.

Schön wäre es, das in Sanyals Text nun auch zu sehen. Neben Ingeborg Kraus wird auch die US-amerikanische Psychologin Melissa Farley (Gründerin von Prostitution Research and Education, deren Webseite international Studien und Übersichten zum Thema veröffentlicht) erwähnt. Melissa Farleys Buch zu Menschenhandel, Prostitution und Traumatisierung sei „schlicht widerlegt“? Von wem? Welche "Fachkreise"? Womit? An welchen Stellen? Wo kann ich das überprüfen? Die Behauptung, es sei widerlegt, kenne ich, sie wird in schöner "Synchronizität" permanent wiederholt, Belege dafür sehe ich nie. Allerdings sehe ich bei Farley jede Menge Quellenangaben, die ihre Aussagen immerhin überprüfbar machen – auch jene zur Traumatisierung von Soldaten.

Ist nur Farleys Buch wiederlegt, oder gilt das auch für all die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit Farley an den Studien in mehreren Ländern gearbeitet haben? Nur für Farley oder auch für die Arbeit von WissenschaftlerInnen wie Neil Malamuth, die seit Jahren an Universtäten arbeiten und im Bereich sexueller und interpersoneller Gewalt forschen? Vor Beginn einer Studie mit direkten Interviews Betroffener muss in den USA ein universitärer, unabhängiger Ethikrat den Ansatz prüfen und genehmigen. Das ist in Deutschland meines Wissens nicht so – ein Qualitätsmerkmal, das überprüfbar ist. Hat Sanyal sich darum bemüht, die Vorgaben zu überprüfen? Weiß sie das überhaupt? Kümmert sie sich um solche Fragen, bevor sie versucht Wissenschaftlerinnen, deren Ansichten ihr nicht gefallen, zu diskreditieren? Farleys Studien wurden genehmigt und sie wurden von Fachleuten, allerdings nicht aus dem Bereich Kulturwissenschaft und Popkultur, sondern aus dem Bereich Psychologie, gegengelesen und geprüft.

Und was ist mit den Ergebnissen und den Zahlen zu Prostitution aus Deutschland? Sind auch diese Zahlen längst widerlegt? Im Rahmen der Evaluierungen des ProstG von 2007 wurde zwar das Thema der Gewalt und der Traumatisierung tunlichst umgangen, aber die Zahlen, nicht die Zusammenfassungen der Befürwortenden der Etablierung des Kauf sexuellen Zugangs zu anderen als Gewerbe, sprechen eine eindeutige Sprache. Nicht einmal diejenigen, die sich für Sexarbeit als Arbeit aussprechen, können beruhigende Ergebnisse vorlegen. Sehr ausführliche Daten brachte 2004 die von der damaligen Bundesregierung in Auftrag gegebene und von Dr. Monika Schröttle geleitete Studie. Auch Schröttle hat sich für die Regulierung der Prostitution ausgesprochen, sie gehört also nicht zu denen, denen grundsätzlich schon die „falsche“ Ansicht unterstellt werden kann. Die Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, darin die Untersuchungen zur „Subpopulation Prostituierte“ (Auf Seite 3 verlinkt, entspricht S. 465 der Langfassung der Studie)  möchten wir allen Interessierten empfehlen.

In Frankreich leistet Dr. Muriel Salmona seit Jahren wichtige Arbeit im Bereich sexuelle Gewalt, sexuelle Gewalt in der Kindheit und zu den daraus resultierenden Traumatisierungen und zu Traumata in der Prostitution, aus den USA gilt das Werk Judith Hermans als Grundlage für u.a. die Studien Farleys und die Arbeit auch von Dr. Ingeborg Kraus. Eigentlich wäre das sogar mit Schnellgooglen zu erfahren, um Geheimwissen handelt es sich nicht, eher um Standardwissen im Bereich Psychologie und Traumatisierung.

Dann wären noch die Forschungen und Erfahrungen von Michaela Huber, Gründerin der Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation zu nennen, ebenso die von Lutz-Ulrich Besser, Mitgründender des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen, und die Stellungnahme vor dem Bundestag von Dr. Wolf Heide.

Nicht alle befassen sich mit einem Vergleich der Traumatisierungen bei Frauen in der Prostitution zu PTBS bei Militärangehörigen nach Einsätzen, aber alle legen Zahlen mit Quellen vor. Das ermöglicht saubere Recherche und das Überprüfen von Zitaten als Grundlage von Wissenschaft. Und als Grundlage sauberer journalistischer Arbeit.

Leider scheint Sanyal von der taz nicht genug Platz für ihre Kolumne zu bekommen – ausgerechnet an der Stelle, an der bei seriösem Journalismus spätestens die Belege, die Begründungen und die Beispiele nach den Behauptungen kommen müssten, bricht ihr Text nach einem Allgemeinplatz ab.

Nun ja – das ist eine der bittereren Erkenntnisse, die Manchen doch immer verborgen bleiben: Der Unterschied zwischen einer profunden Erkenntnis und einer abgedroschenen Phrase liegt nicht im Satz, nicht in der Aneinanderreihung von Wörtern. Er liegt in der Qualität der Ausführung, der Erläuterung, der Begründung. Bei Sanyal sind die Ausführungen nicht schlecht. Sie sind gar nicht vorhanden.

Wir wiederum betrachten solche als Texte getarnten Satzreihen als Beleg – den Beleg dafür, dass den Befürwortenden der Glitzerfassaden nichts mehr bleibt, als sich an Phrasen zu klammern. Die Belege sind auf unserer Seite.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen